Sonnenuntergang auf einem Karwendelgipfel
Tour solo (Gipfelsturm mit Horst), T3, 10,5 km, 1245 hm Aufstieg, 220 hm Abstieg, 6 1/2 h, Ausgangspunkt Parkplatz südlich Vorderriß (TÖL)
Ein Jahr ohne Tour in den Alpen geht ja wirklich nicht, egal wie schön und lohnend der Böhmerwald mit all seinen Teilregionen ist. Um die drei Monate halbwegs auszugleichen, in denen ich es aus verschiedenen Gründen nicht in die Alpen geschafft habe, bestellte ich mir ein dreitägiges AKW-Fenster von Mittwoch bis Freitag, rief am Dienstag in der Tölzer Hütte im Vorkarwendel an und buchte zwei Übernachtungen. Geplant waren Schafreuter, Fleischbank plus eventuell Schönalmjoch und Delpsjoch plus eventuell Baumgartenjoch. Als Aufstiegsweg wählte ich kurzfristig den Reitsteig, eine von vielen richtigen Entscheidungen dieser drei Tourentage. Nach halbwegs unproblematischer dreistündiger Anreise marschierte ich kurz nach 12 Uhr vom winzigen Parkplatz am beschilderten Ausgangspunkt des Reitsteiges los.
Nach 50 fast ebenen Metern überquert der gut erkennbare Pfad ein ausgetrocknetes Bachbett, gleich darauf kommt von rechts der Pfad vom deutlich größeren Parkplatz 300 Meter taleinwärts. Ab jetzt geht es in angenehmer Steigung und Serpentinen durch den Wald bergauf, bis der Weg plötzlich in eine Forstautobahn mündet. Glücklicherweise muss dieser nur etwa 500 Meter weit gefolgt werden, dann ist auf der linken Seite eine Markierung zu erkennen, die den Steig wieder auf einem Waldpfad führt. Dieser umgeht aber nur das letzte Steilstück der Forstautobahn und mündet kurz unterhalb deren Ursache wieder in sie, nur um auf der gegenüberliegenden Seite endgültig als Bergsteig nach oben zu führen. Die Erklärung der Ursache überlasse ich dieses Mal den Fotos und bald wird klar, warum der Reitsteig unter den Einheimischen als der schönste Zustieg zur Tölzer Hütte und dem Schafreuter gilt. Nach einer kurzen Hangquerung ist die ursprüngliche und spektakuläre Klamm erreicht, durch die im unteren Bereich der Stuhlbach, weiter oben dann der Röthelbach nach unten rauscht. Gut, dass hier kein Platz für eine touristische Infrastruktur wie in der Partnach- oder Wimbachklamm ist. Der Reitsteig quert schon bald den Bach auf einer soliden Brücke und führt von diesem Punkt an auf der im Aufstiegssinne rechten Klammseite nach oben. Dabei wird die Steigung durch jede Menge Serpentinen entschärft, der Steig bleibt aber fast immer in Hörweite der Wasserfälle und sonstigen Plätscherattraktionen der Klamm. Zumindest ist das so, wenn die Bäche so wie an diesem Tag halbwegs Wasser führen, der Geräuschpegel kann durchaus schwanken, dürfte aber wohl nie als unangenehm empfunden werden. An einer besonders energiegeladenen Stelle in der Nähe eines Seitenwasserfalls machte ich meine erste kleine Pause und genehmigte mir ein paar Bissen von meinem großen Doppeldeckerbrot (um hinter den tieferen Sinn dieses Details zu kommen, empfehle ich die Lektüre des Schlussabschnittes im nächsten Bericht), bevor ich den jetzt fast schnurgerade der Hanglinie folgenden Steig weiter hinaufstieg. Auf 1300 Metern Höhe wird der Bach wieder durchquert und bald verlässt der Steig den Wald, um die Wiesbauernalm zu erreichen. Dort kann man auf etwa 1450 Metern nach links abzweigen und über Grasköpfel und Grammersberg nach Fall absteigen, sicher auch eine lohnende Tagestour für den Herbst. Es ist lediglich im Moment unklar, wie gut dieser Pfad begehbar ist, da am Ausgangspunkt ein Warnzettel des DAV hing, dass es dort einen Lawinenschaden gegeben hätte. Mir war das aber egal, denn mein Weiterweg führte mich geradeaus und am Waldrand entlang nach oben zur Moosenalm. Hier sind die Markierungen auf den Steinen und Holzpfosten nicht immer ganz leicht erkennbar, was aber nicht weiter schlimm für die Orientierung ist, denn es geht einfach über die Wiese bergauf. Inwiefern auf einer beweideten Alm das Argument der Zerstörung der Vegetation durch Wegabschneider stichhaltig ist, lasse ich mal dahingestellt. Ich musste mehrfach zwischen Kühen hindurch, hatte aber dieses Mal eine ausreichend friedliche Ausstrahlung, um von ihnen in Ruhe gelassen zu werden. Kurz nach 15 Uhr tauchte auf einmal mitten auf der Almwiese ein Gipfelkreuz vor mir auf, das wohl als Orientierungshilfe für Wanderer gedacht ist, welche die Moosenalm vom Krottenbachtal aus anvisieren. Die Almhütte steht zehn Meter unterhalb davon und ich gönnte mir eine etwas längere Pause und den Rest meines Brotes. Ein Lenggrieser erzählte mir dabei, dass die Tölzer Hütte bei den Einheimischen und Jägern eher gemieden wird, allerdings hat sich der von ihm genannte Grund bei mir nicht bestätigt. Anschließend war es Zeit, eine Entscheidung über den Weiterweg zu treffen, nämlich obenrum über den Schafreutergipfel oder untenrum die Südflanke querend und noch schnell vor oder gemütlich nach dem Abendessen aufs Delpsjoch. Ich hatte bis hierhin fast eine Stunde länger gebraucht als auf dem Schild am Parkplatz angegeben, also entschied ich mich für die stressfreie Variante untenrum, was sich wieder in mehrfacher Hinsicht als richtig erweisen sollte, auch wenn es bedeutete, dass der Grat zum Baumgartenjoch gestrichen wurde und dieser Gipfel zumindest dieses Mal kein Gipfelbuch von mir bekommen hat. Doch dazu später und im Bericht vom Freitag mehr. Die Querung ist eigentlich ganz einfach, manchmal etwas schlammig und durch Kuhtritte etwas holprig, aber nie steil oder ausgesetzt. Nach 35 Minuten erreichte ich die Grenze und bewegte mich in den nächsten 41 Stunden auf österreichischem Gebiet. Ich frage mich langsam, ob ich überhaupt noch in der Lage bin, Touren ohne Grenzerfahrungen irgendwelcher Art zu machen. Eine weitere halbe Stunde später stand ich auf einem kleinen Sattel, ließ einen entgegenkommenden Herrn mit Spiegelreflexkamera passieren und durfte den ersten Blick auf Hütte und Delpsjoch genießen. Die 50 Meter Höhenverlust und Gegenanstieg durch das dazwischenliegende Kar waren mir jetzt auch egal, kurz vor halb sechs stand ich in der Hütte und begrüßte den Hüttenwirt Michael. Da das Abendessen für 18 Uhr angesagt war, verschob ich den Gipfelsturm auf danach und bezog zuerst einmal mein Lager, während in der Küche ein Liter Teewasser für mich erhitzt wurde, in das ich anschließend einen Beutel meines geliebten aromatisierten Rooibostees hängte. In der Wartezeit auf das Abendessen kam ich mit einem netten Ehepaar aus Nördlingen ins Gespräch, das schon ein paar Tage in der Gegend unterwegs gewesen ist. Christine hatte keine Lust mehr, aber Horst wollte unbedingt den Sonnenuntergang auf dem Delpsjoch sehen, so dass ich zumindest diesen Teil der Tour in netter Gesellschaft absolvieren durfte. Vorher war aber ein Bergsteigeressen angesagt, es gab Fusilli mit Tomatensoße, die von der Menge her absolut ausreichend und auch vom Geschmack brauchbar waren. Ich hätte mir ein paar Kräuter und Gewürze mehr gewünscht, aber eine Schutzhütte ist halt mal kein Fünf-Sterne-Restaurant, also nix jammern. Nach dem Essen ging es gleich los, weil der Sonnenuntergang für 19.22 Uhr angesagt war und wir keine Hektik haben wollten, obwohl der Aufstieg nur etwas mehr als 25 Minuten in Anspruch nimmt. Der Weg von der Hütte führt zunächst etwa zehn Höhenmeter bergab, dann hinauf zu einem Gedenkmarterl, anschließend wieder fünf Meter runter und von dort aus unmarkiert, aber deutlich ausgetreten am Grat entlang hinauf zum Gipfel. Schwierigkeiten gibt es dabei keine und wir waren rechtzeitig oben, um auch von den Vorstufen des Sonnenuntergangs Fotos machen zu können. Das heißt, ich machte die Fotos, weil Horst zugab, weder Geduld noch ruhige Hand dafür zu haben und bei ihm alles total verwackelt und unscharf würde. Hier unterlief mir der einzige ärgerliche Fehler des Tages, ich habe nicht gleich bei der Gipfelankunft ein Foto hinunter zum Delpssee versucht, beim Abstieg wäre die Belichtungszeit 1,3 Sekunden gewesen und ich hätte entweder ein Stativ gebraucht, was ich natürlich bei meinen Touren nicht dabeihabe, obwohl es im Kofferraum meines Autos liegt, oder die ISO auf mindestens 400, besser wohl 800 erhöhen müssen, woran ich in diesem Moment nicht gedacht habe. Dass das Bild vom Gipfelkreuz unscharf wurde und komplett aussortiert werden musste, gilt in diesem Sinne nicht als Fehler, sondern als Künstlerpech. Was dort oben fehlt, ist eine Kassette mit Gipfelbuch. Hätte ich das gewusst, hätte ich das kleine Büchlein aus meinem Rucksack mit hinaufgenommen und samt einem Tütlein, das ich schon irgendwo herbekommen hätte, unter Steinen deponiert. Nachdem die Sonne hinter der Kreuzspitze verschwunden war, stiegen Horst und ich wieder ab zur Hütte, tranken zusammen mit Christine noch ein Bierchen, erzählten ein paar Geschichten aus der Tourenkiste und verschwanden gegen halb zehn in unseren Lagern. Dort nimmt auch der Bericht vom nächsten Tag seinen Anfang.
Schlagwörter: delpshals, delpsjoch, lenggries, moosenalm, reitsteig, tölzer hütte, vorderriss, wiesbauernalm